In Berlin: Fotoausstellung über Riace

Auf einem Bild sind Boote zu sehen, die an der Seite mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge beschriftet sind. »Riace hat bis zu 700 Geflüchtete aufgenommen«, berichtet Elisabeth Voß bei einem Rundgang durch ihre Fotoausstellung. Dreimal besuchte die Publizistin bisher das kalabrische Bergdorf. Ihre Bilder zeigen das süditalienische Dorf Riace und geben einen Einblick in das dortige Modell solidarischen Zusammenlebens von Einheimischen und Menschen mit Fluchterfahrung. Bis Mitte Februar ist ihre Ausstellung in Berlin zu sehen.

Die erste Riace-Reise, die Elisabeth Voß unternahm, war vom Verein »Courage gegen Fremdenhass« organisiert. Das süditalienische Dorf besteht aus den Teilen Riace Borgo und Riace Marina, und auch die Ausstellung umfasst zwei Räume. Voß hat die Bilder thematisch gruppiert, angefangen beim Meer. Sie hat ein Ausstellungsstück des Galerieraums, ein Boot, in die Fotoausstellung integriert. Darüber hinaus zeigt sie mehrere Bilder vom »liebevoll dekoriertem Dorf«. Es sind auch vier Fotos von Wandbildern ausgestellt, genau in der Reihenfolge wie sie im Ort zu sehen sind. Für Voß sind diese »murale« ein klares Signal an Einheimische und Besucher mit der Botschaft »wir heißen die Menschen willkommen und wir freuen uns darüber«.

Elisabeth Voß bei einem Rundgang durch ihre Fotoausstellung über das kalabrische Bergdorf Riace

Riace ist weit über Italien für das Engagement für Geflüchtete bekannt geworden. »Das kann man gar nicht hoch genug loben, dass dieses Dorf bereits 1998 Flüchtlinge aufgenommen hat«, sagt Voß. Im Sommer 1998 hatten Dorfbewohner über 200 kurdische Flüchtlinge aufgenommen, deren Schiff in Riace Marina strandete. Einige Riacesi gründeten im folgenden Jahr den Verein »Città Futura« (»Stadt der Zukunft«), um die Neuankömmlinge in Riace anzusiedeln, ihnen eine Perspektive zu bieten und das Dorf – das unter unter starker Abwanderung und hoher Arbeitslosigkeit litt – wiederzubeleben. Einer der Mitbegründer des Vereins ist der Lehrer Domenico Lucano, auch Mimmo genannt, der 2004 zum Bürgermeister des Dorfes gewählt wurde. »Città Futura« hat in Riace Projekte aufgebaut, in denen Geflüchtete und Einheimische zusammenarbeiten, unter anderem eine Textil-, eine Glas-, eine Holzwerkstatt und eine Schokoladenmanufaktur. Im zweiten Ausstellungsraum sind Fotos der Kooperativen zu sehen. Bei einem Projekt zur Olivenernte haben zwanzig Menschen während der zweimonatigen Erntezeit tariflich bezahlte Arbeit, erläutert Voß. Vor Ort werden die Oliven gereinigt, gepresst und zu Olivenöl verarbeitet. Die italienische Bank Banca Etica hat das Projekt mit einem Darlehen mitfinanziert.

Ein Foto zeigt ein Wandbild, das zum Gedenken an Giuseppe »Peppino« Impastato erstellt wurde, der von der Mafia im Jahr 1978 in Cinisi ermordet wurde, eine Stadt nahe Palermo. Er kämpfte gegen die Mafia, gründete einen freien Radiosender und kandidierte für die Kommunalwahlen. Der Mordfall wurde im Jahr 2000 weit über Sizilien bekannt, da der Regisseur Marco Tullio Giordana einen Film über Impastato gedreht hat (Filmtitel »I cento passi«). Andere Fotos von Wandbildern zeigen bunte Abdrücke von Handflächen – ein Symbol gegen die Mafia.

Mit Blick auf die Flüchtlinge, die nach Riace kamen, sagt Elisabeth Voß: »Domenico Lucano hat sich für alle Menschen eingesetzt, dass sie bleiben können.« Gemäß dem italienischem Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge (»Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati«, abgekürzt: SPRAR) zahlt der Italienische Staat Gemeinden für die Aufnahme der Flüchtlinge 35,- € pro Person und Tag. Damit werden Unterkünfte für die Geflüchteten finanziert sowie Geld zum Lebensunterhalt und für Lebensmittelgutscheine zur Verfügung gestellt. »Die Förderung wurde gezahlt bis das jeweilige Asylverfahren zu Ende ging«, erklärt Voß und ergänzt: »Allesamt besser als diese Massenlager«.

Die Werkstätten wurden im Oktober 2018 gezwungenermaßen geschlossen, als Lucano die »Begünstigung illegaler Einwanderung« vorgeworfen und er per Gerichtsbeschluss unter Hausarrest gestellt wurde. Zwei Wochen später wurde er aus Riace verbannt. Auf Anordnung des Innenministeriums mussten die Geflüchteten umziehen und in Flüchtingsunterkünfte untergebracht werden. In der Zwischenzeit stimmten die Mehrheit der Riacesi für Antonio Trifoli als neuen Bürgermeister, ein von der rechten Lega Nord unterstützter Kandidat. Anfang September 2019, wenige Tage nach der Wiederaufnahme des Prozesses – und am gleichen Tag an dem Matteo Salvini sein Amt als Innenminister verloren hat – hob der Präsident des Gerichtshofs von Locri die Verbannung des Ex-Bürgermeisters Lucano auf.

Neben den Fotos gibt die Ausstellung den Besuchern Einblicke in Lösungsstrategien. Beispielsweise hatte Riace eine Regionalwährung (»Euro di Riace«), die zum Einkaufen im Dorf verwendet werden konnte. Das Regiogeld wurde von einer Landesbehörde genehmigt, wie Voß erläutert. Lucano hatte die Komplementärwährung in Riace eingeführt, weil das Dorf die Fördermittel aus dem Innenministerium oft verspätet erhielt. Ein weiteres Projekt über das Ausstellungsbesucher mehr erfahren können, ist Alarmphone. Es ist ein Netzwerk von Freiwilligen, das seit fünf Jahren besteht. Sie sorgen in 8-Stunden-Schichtteams dafür, dass es eine Hotline für Seenotanrufe gibt, die von Geflüchteten und von ihren Angehörigen jederzeit angerufen werden kann.

Weitere Informationen über die Solidarität mit Riace sind auf der Website von Elisabeth Voß: riace.solioeko.de. Die Fotoausstellung ist dieses Jahr vom 21. Januar bis zum 15. Februar 2020 im »Sandalia – Un‘Isola a Berlino« in Charlottenburg zu sehen (Schillerstraße 106, 10625 Berlin). Die Öffnungszeiten sind Dienstags bis Freitags von 14 Uhr bis 18 Uhr.

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