Gartenbewegung | Drei Gießkannen hängen an der Wasserstelle: gelb, grün, purpurn. Durch die Mitte der Beete führt ein Weg zu diesem Platz. In dieser Saison sind regelmäßig 30 Erwachsene – vor allem Frauen – und 15 Kinder im Interkulturellen Gemeinschaftsgarten in Gatow. Viele Menschen gärtnern hier, weil sie ein Sprachcafé dazu inspiriert hat.
Über dem Eingangstor thront ein Holzschild. Auf diesem steht in geschwungener Schrift: »Interkultureller Garten«. Mitarbeiter vom SOS-Kinderdorf Berlin gründeten den Gemeinschaftsgarten im April 2016 auf dem Areal der vereinseigenen Ausbildungsstätte für Garten- und Landschaftsbau. Dort werden lernbeeinträchtigte junge Menschen zu Fachwerkern im Gartenbau ausgebildet. Die Angebote des Vereins an den Standorten in Moabit beinhalten Kinderdorffamilien, Kita-Betreuung, Berufsausbildung für benachteiligte junge Menschen und interkulturelle Beratung. Außerdem bietet SOS-Kinderdorf Berlin Ausbildung und Qualifizierung für die Berufsorientierung und Praktika in Handwerksbetrieben an. Für den Interkulturellen Gemeinschaftsgarten stellt er kostenfrei Wasser, Werkzeuge und ökologisches Saatgut bereit. Jennifer Linn Schreiter ist die Projektleiterin des Interkulturellen Gartens. Die Gartenbauingenieurin und Naturpädagogin bietet allen Interessenten an, sie beim Gärtnern anzuleiten. Die Freizeitgärtner der Gartengemeinschaft sind in verschiedenen Kulturkreisen aufgewachsen: Deutschland, Ghana, Guinea, Libanon, Rumänien, Syrien und Vietnam. Yossef Abdo unterstützt Frau Schreiter als Koordinator, Übersetzer und Vermittler zwischen den Kulturen. Der 32-Jährige hat in Syrien einen Master in Agrarwissenschaften absolviert und ist im August 2015 vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet. Jetzt wohnt er in Neukölln und fährt mit Bus und U-Bahn über eine Stunde zum Garten nach Gatow.
»Die meisten Gartennutzer sind hier, weil sie saisonales Gemüse anbauen möchten und keinen eigenen Garten besitzen«, erzählt Yossef. Zum Teetrinken oder Essen versammeln sich die Stadtgärtner meist vor dem Eingang zur Beetfläche. Dort stehen mehrere Sitzbänke, Stühle und ein Tisch. Viele Kinder sind im Grundschulalter und spielen zusammen zwischen den Bäumen und Beeten. Es ist Ende Juli – Ferienzeit in Berlin – und viele Gartennutzer sind in diesen Wochen verreist.
In der Region zeigt sich der Sommer mit andauernder Hitze, Trockenheit und Brandgefahr. Während regelmäßiges Gießen und der Schatten der Bäume, die den Gemeinschaftsgarten umranden, ein erfrischendes Mikroklima an diesem Platz bewirken. Fächerartig ausgebreitete Ahornblätter schimmern hellgrün im Sonnenlicht. Ein Eichhörnchen huscht einen Baum hinab. In den Beeten riecht es nach feuchter Erde. Neben Tomaten wächst eine Vielfalt an Gurken, Bohnen, Zucchini, Kürbissen, Petersilie und Minze. Einige Gärtnerinnen und Gärtner haben Pflanzen aus anderen Klimazonen angebaut – wie Aloe Vera, Bittermelonen, Chili, Flaschenkürbis, Ingwer, Kaktusfeigen und Taro. Auf dem Gelände stehen zwei Bienenstöcke, um die sich ein libanesischer Imker kümmert. Er lebt seit den 80er Jahren in Deutschland und spricht fließend deutsch und arabisch. In der Nähe der Bienenvölker sind Flächen für Pflanzen vorgesehen, die bei Wildbienen und Schmetterlingen beliebt sind.
Rückblick auf die Gründung des Gartens
Frau Schreiter erinnert sich, dass von 40 Interessenten 15 beim Auftakttreffen waren. Aus dieser Gruppe ist eine Hobbygärtnerin geblieben – Roumieh. Die Syrerin hat das rote Band bei der Einweihung der rund tausend Quadratmeter großen Beetfläche durchschnitten. »Mir gefällt der Garten, weil ich hier gute Luft atme«, sagt Roumieh. Sie lebt seit vier Jahren in Deutschland und wohnt in Schöneberg. Von Anfang an kocht sie einmal in der Woche ehrenamtlich für den Ausbildungsbetrieb. Im Gegenzug übernehmen derzeit Gartenkollegen die Pflanzenpflege des Beetes, um das sie sich zu Beginn gekümmert hatte. An einer Stelle, an der noch Platz war, hat Roumieh dieses Jahr einen Pflaumenbaum gepflanzt.
Gartengefährten mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln
Frau Schreiter sagt, dass in dieser Saison 45 Menschen regelmäßig vor Ort sind. Es sind 30 Erwachsene und 15 Kinder. Viele Nutzer des Interkulturellen Gartens sind letztes Jahr neu dazugekommen, auch Munir. Der Syrer kennt gemeinschaftliche Stadtgärten aus Damaskus. Im Garten leistet ihm seine Familie oft Gesellschaft, auch die älteren Kinder – zwei Töchter und ein Sohn – mit den vierEnkelkindern. Vom Interkulturellen Gemeinschaftsgarten hatte Munir über einen Flyer erfahren, den ihm einer seiner Söhne gegeben hatte. Die gebürtige Saarländerin Sara hatte vom Gartenprojekt über eine Veranstaltung des SOS-Kinderdorfs erfahren, da sie bei einer Einrichtung regelmäßig Workshops für Kinder anbietet. Die Lehrerin Maria gärtnert seit Mai dieses Jahres im Gemeinschaftsgarten. Ihr Mann hatte ihr vom Projekt erzählt, weil er als ehemaliger Mitarbeiter des SOS-Kinderdorfs Berlin Informationen über den Garten erhalten hatte. Die Ghanaerin Ekamma hat vom Gartenprojekt erfahren als sie eine Freundin zu einem Angebot für Deutsch-Konversation begleitet hatte.
Deutsch-Konversation im Grünen
Seit letztem Jahr bietet Claudia Schippel einmal pro Woche das Sprachcafé »Miteinander Deutsch sprechen!« im Gemeinschaftsgarten an. Das Bildungsangebot richtet sich an Migrantinnen. Dieses Jahr nehmen etwa 20 Frauen regelmäßig teil. Frau Schippel arbeitet für das Beratungszentrum Hînbûn, das sich in Trägerschaft des Evangelischen Kirchenkreises Berlin-Spandau befindet. Vom Garten hatte die Sozialpädagogin und Ethnologin erfahren als Frau Schreiter das Vorhaben bei einer Veranstaltung des Kirchenkreises vorgestellt hatte. Die Hälfte der Kursteilnehmerinnen ist dieses Jahr dazugekommen, berichtet Frau Schippel. Sie geht davon aus, dass die Immigrantinnen gute Bleibeperspektiven haben, da sie entweder im Asylverfahren sind oder über Familiennachzug respektive -zusammenführung nach Deutschland gereist sind Das Sprachcafé ist thematisch offen. Vergangenes Jahr haben die Teilnehmerinnen während des Sprachcafés gemeinsam gegärtnert. Dieses Jahr nutzen die Frauen das Konversationsangebot vorwiegend um sich bei Frau Schippel über Ausbildungs- und Praktikamöglichkeiten in Deutschland zu informieren. Durch die Wahl des Gartens als Treffpunkt hat Frau Schippel mehrere Frauen und ihre Partner zum Mitgärtnern inspiriert. Dazu gehören Tarfaa und Yahia, die vor kurzem silberne Hochzeit gefeiert haben. Da das syrische Ehepaar in Spandau wohnt, hat es einen kurzen Weg zum Garten.
Wildholzmöbel
Entlang des Erdweges, der den Beetbereich teilt, verläuft eine Pergola. Dieser schattenspendende Gang besteht aus miteinander verbundenen Baumstämmen und Ästen. An einer Seite ranken sich eine Brombeerpflanze und mehrere Kürbispflanzen hoch. Weintrauben sollen noch folgen. Die Dachkonstruktion sowie mehrere Wildholzmöbel hat Munir gebaut. Frau Schreiter erwähnt, dass sie mit Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse Sitzbänke gebaut hat und Munir die Ideen aus diesen Workshops für Willkommensklassen aufgegriffen hat.
Munirs ältester Sohn ist 2013 aus dem Bürgerkriegsland geflüchtet und in Deutschland angekommen. Ein halbes Jahr später ist der zweite Sohn gefolgt. 2015 konnte Munir zusammen mit seiner Frau und den jüngeren Kindern Syrien verlassen und über den Familiennachzug in Deutschland einreisen.
Munirs Söhne berichten, dass er in Syrien fünf Jahre lang 3.000 Kirschbäume gepflegt hat. Außerdem hat er dort als Baustoffhändler und Bauleiter gearbeitet. In diesem Sommer geht Munir jeden Tag zum Garten und gießt die Pflanzen morgens und abends. Nach Meinung von Frau Schreiter übernimmt er viel Verantwortung durch diese regelmäßige Tätigkeit. Der Syrer wünscht sich, er könnte eine größere landwirtschaftliche Fläche in Deutschland pachten, um Gemüse anzubauen. Eine neue Erfahrung für ihn ist, dass es in Deutschland im Sommer sehr viele Sonnenstunden gibt, während in Syrien die Sonne immer um 19 Uhr untergeht. Auf einer unverschatteten, brachliegenden Fläche hat er dieses Jahr Auberginen, Paprika, Gurken, Wassermelonen und Kürbisse gepflanzt. Die Auberginen und Gurken kann Munir bereits ernten. Munir erzählt, dass er viele Ideen hat, wie man Obst und Gemüse anpflanzen kann ohne ständig gießen zu müssen. »Ich brauche Erde, große«, sagt er. Damit meint er eine Fläche von rund drei Hektar Größe.
Auf der Südseite des Geländes befindet sich ein türkisfarbener Zirkuswagen, den die bildende Künstlerin Barbara Caveng dem Gartenprojekt geschenkt hat. »Kunstasyl« steht auf dem dunkelgrauen Wagendach – der Name der Initiative, die Frau Caveng in einem Heim für Asylsuchende gegründet hatte. Vor dem Wagen befindet sich eine etwa neun Quadratmeter große Terrasse aus Holz, die Munir ebenfalls gebaut hat. Neben dem Wagen spielen die Kinder. Ghaith, Munirs jüngster Sohn, schaukelt. Die Schaukel ist an einem großen Baumast befestigt. »Hat mein Papa auch gebaut«, sagt er und seine Stimme klingt stolz und glücklich.
Vermeintliches Unkraut
Ekamma erzählt, dass sie vor kurzem Moringa – auch Meerrettichbaum genannt – am Rand der Beetfläche gepflanzt hat. Charakteristisch für diese aus Ostafrika und Indien stammende Baumgattung sind gefiederte kleine Blätter, ein schnelles Wachstum und ein Anschwellen des Stammes. Um den Baumsetzling herum hat Ekamma kreisförmig faustgroße Steine angeordnet. Ein Stück eines alten Fahrradschlauches dient als Schild. Auf diesem steht in weißer Farbe »Moringa«. Damit möchte die Westafrikanerin allen Mitgärtnern deutlich machen, dass der Jungbaum dort bleiben soll. Sie hat beobachtet, dass Gartennutzer manchmal kleinere Pflanzen an den Rändern der Beete herausreißen, weil sie diese nicht kennen oder denken, es sei Unkraut. Sara hat diesen Sommer ebenfalls beobachtet, dass verschiedene Kollegen Pflanzen aus Beeten von anderen Gärtnern herauszupfen. Sie hat dieses Jahr begonnen, auf der Fläche nahe den Bienenstöcken auch herausgerupften Pflanzen ein neues Habitat zu geben. Bei manchen Pflanzen möchte sie beobachten, wie sie sich im Laufe der Zeit verändern, wenn sie nicht geerntet werden. Deshalb erntet sie nicht alle Salatsorten, die sie gepflanzt hat.
Auch Maria hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Dieses Jahr hat jemand alle Blüten der Kartoffeln abgeschnitten, die Maria auf ihrem Beet gepflanzt hatte. Die 63-Jährige vermutet, dass sich dadurch ihre Ernte an Kartoffeln verringert. Derzeit sind es durchschnittlich zwei Kartoffeln pro Saatkartoffel, berichtet sie. Für die Freizeitgärtnerin ist der Ertrag nicht so wichtig. Ihrer Meinung nach sind für Stadtgärtner, die hohe Erträge erwarten, andere Gemeinschaftsgärten besser geeignet. Maria erinnert sich an ihre Erfahrung mit interkultureller Kommunikation im Schulbereich und erklärt: »Es geht um Ambiguitätstoleranz«. Diese befähigt Menschen, mit Widersprüchen und Unsicherheit zu leben. Maria sagt, dass sie die Ungewissheit kennt, richtig verstanden zu werden.
Raum zum Wachsen
Ekamma schaut nach ihrer Moringapflanze. Munir steht neben ihr und bemerkt: »Der Kreis mit den Steinen ist zu eng. Erde zu fest«. Seiner Meinung nach hat die Pflanze wenig Platz: »Den Wurzeln fehlt Raum«. »Zum Wachsen«, fügt er hinzu. Er spricht in kurzen Sätzen und möchte der Ghanaerin anschaulich erklären, wie er die Erde vor dem Bepflanzen spatentief umgraben und dadurch auflockern würde. Munir ermuntert sie zu einem Tomatenbeet zu gehen. Er trägt ein kurzärmeliges weißgraukariertes Baumwollhemd und eine Bundfaltenhose. Vor einer Tomatenpflanze schiebt der Syrer einen Spaten wenige Zentimeter in die weiche, sandige Gartenerde und hebt diese auf Knöchelhöhe. Mit einer leichten Bewegung kippt er den Spaten und die Erde rieselt auf den Boden. Ekamma zwei Kinder und Munirs jüngster Sohn schauen neugierig zu. Mit der Hand zeigt Munir auf die Erde um die Pflanzen und erklärt: »So kommt mehr Sauerstoff an die Pflanze«. Das Wasser versickert beim Gießen besser in den Boden und die Wurzeln können es besser aufnehmen, wird er später seine Hinweise abrunden. Munir pflückt ein paar Tomaten und gibt sie seinen aufmerksamen Zuhörern zum Probieren. Er erzählt, dass die Sorte aus syrischen Berggebieten stammt: »Bergtomaten«. Dann fügt er hinzu, dass der Pflanzabstand an diesem Standort 70 Zentimeter sein sollte. »Auf keinen Fall weniger«, ergänzt er und schüttelt dabei langsam den Kopf, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. Ekamma nickt zustimmend. Sie scheint überzeugt, dass seine Methode zur Lockerung des Bodens wirkungsvoll ist. Ihre Kinder ziehen an ihrer Bluse und verlangen ihre volle Aufmerksamkeit. Ekamma sagt, dass sie die Moringa erst mal so lassen möchte, wie sie diese gepflanzt hat.
Sara blickt auf den üppig wachsenden Topinambur in ihren vier Quadratmeter großem Beet. In der doppelt so großen Parzelle, die sie mit zwei Gartenkolleginnen teilt, kann sie bald eine große Anzahl an gelben und roten Tomaten ernten. Sara versucht mindestens einmal die Woche im Garten zu sein. Sobald sie mal länger als eine Woche nicht im Garten war, fehlt ihr etwas, erkennt Sara. »Einfach rausfahren zu so einem Garten, das ist schon toll«, sagt sie. Heute hat Sara Pflanzen mitgebracht. Um sie zum Garten zu transportieren hatte sie diese zu Hause in zwei Eimern eingesetzt. Weitere Arten haben sich von selbst ausgesät, berichtet Sara. Diese Pflanzengemeinschaften möchte sie am Rand eines der Beete einpflanzen, die als Angebot für Insekten gedacht sind. Dort sollen neben Bienen auch Tag- und Nachtfalter Nahrung finden. Sara geht zum Gartenschuppen, holt eine breite Plastikschüssel aus einem Regal und schüttet Tonflocken hinein. Damit läuft sie langsam zu einem von drei Kompostkästen. Dort nimmt sie eine Schaufel, hebt eine Ladung Kompost heraus und schiebt diese über ein grobmaschiges Gitterrost, das an einem der Kästen angelehnt ist. Das wiederholt sie zweimal. Danach mischt sie die gesiebte Erde mit dem Ton und geht zum Beet. Mit Schwung drückt sie einen Spaten in die Erde und gräbt zwei Erdlöcher, die doppelt so tief wie die Wurzelballen sind. Den Bodenhub schüttet sie auf die Seite. Die Löcher füllt sie mit einem Teil der Ton-Kompost-Mischung. Dann holt sie die Pflanzen vorsichtig aus den Eimern, legt sie mit den Wurzelballen behutsam in die Pflanzlöcher und füllt die Lücken mit dem restlichen Erdgemisch und einem Teil des sandigen Oberbodens.
Ekamma ruft Yossefs Namen. Sie sucht ihn weil er den Schlüssel für die Werkzeugkiste hat. Die Ghanaerin hat sich entschieden, die Erde um ihren Jungbaum doch umzugraben und zu lockern. Nachdem sie mit Yossef gesprochen hat, macht sie sich mit dem Spaten in der Hand auf den Weg zum Moringabaum.
Maria steigt auf ihr Fahrrad, weil sie gleich nach Hause radeln möchte. Direkt neben dem Gartenareal verläuft eine vielbefahrene Straße. »Den Lärm der Autos und Busse vergesse ich, wenn ich im Garten bin«, erzählt Sara. »Jetzt muss ich die Pflanzen noch gießen«, ergänzt sie. Wie eine glänzende grüne Perle scheint dieser Ort, an dem Zuwanderer und Einheimische neue Wörter lernen. Zum Beispiel »šukran«, das Danke auf Arabisch bedeutet. Für Maria klingt es ähnlich wie das englische Wort »sugar« (Zucker). Für die Pädagogin ist das gemeinschaftliche Miteinander »eine schöne Qualität des Gartens«. Sie erinnert sich gerne an einen Tag nach dem Zuckerfest – das Fest des Fastenbrechens – als Syrer selbst gebackene Kekse mitgebracht haben.