Seine fotografische Bildsprache hat Robert Frank (1924 – 2019) weltbekannt gemacht. Sie ist direkt, empathisch und bewegt sich zwischen Dokumentation und Erzählung. »Robert Frank: Unseen« wählten die Kurator*innen Kathrin Schönegg und Martin Gasser als Titel für eine Ausstellung der C/O Berlin Foundation, die die Besucher*innen auf eine Reise zu ausgewählten Arbeiten aus dem Frühwerk des Schweizer Fotografen mitnimmt.
Die Fotoarbeiten, unter anderem Kontaktbögen und Erstausgaben, sind bis zum 30. November im Amerika Haus zu sehen. Die Exponate sind Leihgaben aus der Sammlung der Fotostiftung Schweiz. Im erstem Ausstellungsraum sind Bilder zu sehen, die Frank im Frühling 1949 während der schweizer »Landsgemeinde« Hundwil fotografierte. Das ist eine jährliche Versammlung der Stimmberechtigten ‒ damals waren das nur Männer ‒ unter freiem Himmel, bei der sie Regierungsvertreter wählten und über Gesetze und Ausgaben abstimmten. Die in der Ausstellung präsentierten Bilder wurden von den Kurator*innen ausgewählt, weil sie ihrer Meinung nach den kritisch prüfenden Blick Franks vorweg nehmen mit dem er wenige Jahre später »die verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ereignisse in Amerika betrachten sollte«.
Weltweite Bekanntheit erlangte Robert Louis Frank durch sein Fotobuch »The Americans«, das eine Auswahl von 83 Schwarz-Weiß-Bildern zeigt. Es erschien im Sommer 1958 auf Französisch und auf Italienisch ‒ »Gli Americani«, eine Ausgabe ist in der Ausstellung zu sehen. Für das englischsprachige Fotobuch hat der Schriftsteller Jack Kerouc das Vorwort geschrieben. Keroucs Text endet mit dem Satz: »Dieses irre Gefühl, wenn in Amerika irgendwo die Sonne auf die Straßen brennt und Musik aus einer Jukebox oder von einer Beerdigung kommt, das hat Robert Frank in seinen großartigen Fotografien eingefangen.« Die Fotoarbeiten entstanden 1955 und 1956 während einer tausende Kilometer langen Reise durch die Vereinigten Staaten. Er konnte diesen fotografischen Roadtrip durch 48 US-Bundesstaaten dank eines Guggenheim Stipendiums finanzieren. Vielen Fotografiebegeisterten sind die Arbeiten als Medienikonen bekannt, wie die Aufnahme eines Straßenbahnwagens bei dem weiße Fahrgäste vorne sitzen und ein schwarzer Mann unglaublich traurig aus einem Wagenfenster blickt (»Trolley – New Orleans«) oder die Aufnahme der Inneneinrichtung eines Friseurladens, die auf einer beschatteten Glastür sichtbar wird, in der sich an den Seiten ein Haus und ein Vorgarten spiegeln (»Barbershop through screen door – McClellanville, South Carolina«).
Während dieser Reise machte Frank 28.000 Fotos (auf über 600 Filmen) und tausend Arbeitskopien, von denen nur eine kleine Auswahl im Buch publiziert wurde. »Unseen« zeigt viele Bilder, die aus editorischen Gründen nicht in die enge Auswahl für »The Americans« genommen und bisher nicht veröffentlicht wurden.
Franks Fotos sind manchmal körnig oder weisen schräge Einstellungen und Bewegungsunschärfe auf, Protagonist*innen sind angeschnitten. Dieser kompromisslose Stil entsprach Ende der 1950er Jahre nicht den fotografischen Konventionen und den Sehgewohnheiten der Zeit. Seine Art und Weise wie er den Alltag dokumentierte, hat die Fotografie nachhaltig verändert. Er zählt zu den wichtigsten visuellen Künstler*innen der letzten 60 Jahre und hat Generationen von Fotograf*innen beeinflusst. Als die Deutsche Gesellschaft für Photographie im Juni 1985 den »Dr. Erich Salomon-Preis« für außergewöhnliche bildjournalistische Arbeiten verliehen hat, beschrieb Ute Eskildsen in ihrer Laudatio die Bildsprache Franks mit den Worten: »..weit wichtiger noch ist die Aufhebung der Distanz. Robert Frank gibt sich in jedem Foto als subjektiver Betrachter zu erkennen.«
Seine erste Reise nach Nordamerika hatte Frank 1947 unternommen. Nach seiner Lehrzeit als Fotograf (1941 bis 1946) reiste Frank auf einem Frachtschiff nach New York. Er arbeitete als Assistenzfotograf bei Alexey Brodovitch, damals Art Director der Zeitschrift Harper’s Bazaar. Seine damalige Arbeitswelt waren klassiche Studiobilder mit inszenierten Modeaufnahmen ‒ und Reportagen. 1948 reiste er in mittel- und südamerikanische Länder; sehr viele Bilder machte er in Peru. Fotoarbeiten dieser Reise werden auch in der Ausstellung präsentiert. Später pendelte Frank mehrere Jahre zwischen Europa und den USA, um fotografische Projekte zu realisieren. Er arbeitete als Freelancer für Magazine aus der Schweiz, Frankreich und den USA. Ende der 1950er Jahre begann er Filme zu drehen. Der Fotograf und Filmemacher lebte in New York und an der kanadischen Atlantikküste in Nova Scotia. Er starb am 9. September, zwei Monate später wäre sein 95. Geburtstag gewesen.
Die Fotoausstellung ist täglich von 11 Uhr bis 20 Uhr geöffnet. Öffentliche Führungen finden samstags und sonntags um 14 Uhr und 16 Uhr auf Deutsch statt, und um 18 Uhr auf Englisch. Adresse: Amerika Haus, Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin.